Semantisch-lexikalische Störungen

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Definition

„Semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern und Jugendlichen sind eine Sprachproduktionsstörung, bei der es ihnen häufig und anhaltend nicht altersentsprechend gelingt, eine sprachliche Form zu bilden, die entsprechend der Äußerungsintention angemessen lexikalisch besetzt ist.“ (Glück, 2001, S. 81)

Semantisch-lexikalische Störungen sind durch Wortschatzdefizite, Einschränkungen des rezeptiven und expressiven Wortschatzes sowie Wortfindungsstörungen gekennzeichnet (n. Braun, 2006, S. 187).

Für eine angemessene Definition sollten zwei weitere Aspekte berücksichtigt werden:
- Bei den meisten Kindern mit semantisch-lexikalischen Störungen treten sowohl Wortschatzdefizite als auch Wortabrufschwierigkeiten auf.
- Nach bisher vorliegenden Beobachtungen sind semantisch-lexikalische Störungen als Teilsymptomatik zu begreifen und nicht als eigenständiges Störungsbild. (Vgl. Glück, 2001, S. 80f.)


Hintergründe

Lexikalische Entwicklung
Entwicklungs- und entwicklungspsycholinguistische Theorien beschreiben den Prozess der lexikalischen Entwicklung als Worterwerb:
Die Theorien setzen folglich am Wort und dem Erwerb der Wörter an.

Der Lexikonerwerb vollzieht sich dynamisch und flexibel verändernd vom 1. Lebensjahr an bis zum Ende der Schulzeit und weiter.
Er kann in 3 Phasen eingeteilt werden:

1. Der frühe Worterwerb von 0;10-1;6

Mit ca. 10 Monaten werden die ersten Wörter gebildet. Vorläufer sind sogenannte Protowörter, bei denen das Kind erstmals Lautäußerungen mit bestimmten Situationen, Gegenständen, Personen und Tätigkeiten verbindet. Protowörter sind also Lautreihenfolgen, die kein Wort bilden, aber konsequent bedeutungsvoll genutzt werden, wie z.B.:
„na“ = etwas haben wollen / „wiawia“ = drehen (Knopf, Buchseite, Rad)

Wörter ...
  * sind phonologisch meist vereinfacht, kontextgebunden
  * oft sozial-pragmatisch (nein, bitte, winke-winke, …)
  * werden performativ (mit Handlung verbunden) realisiert
  * werden über assoziative Verknüpfungen im kommunikativ-interaktiven Lernkonzept angeeignet

Charakteristisch für diese Phase:
Langsames Anwachsen des Wortbestandes (pro Woche nur 2-3 neue Wörter

2. Der Wortschatzspurt von 1;6-2;6

Hat das Kind die entwicklungskritische Menge von 30-50 Wörtern erreicht, beginnt der schnelle Worterwerb für Objekte und Eigenschaften.
Es wird unmittelbar eine repräsentative Beziehung zwischen Wort und Bedeutung hergestellt. Schon nach 1-2maligem Hören kann ein referentieller Bezug gewonnen, die Bedeutung identifiziert und die dazugehörige Wortform isoliert werden.
Kind benutzt hauptsächlich Nomen (Objektwörter)

Die rasche Übernahme der Wörter ins mentale Lexikon nennt man FAST MAPPING, das aus 3 Teilen besteht:
- Identifikation des Referenten (= Erkennen des Objekts)
- Erfassen der Bedeutung
- Erfassen der Abbildung durch die Wortform

Der Prozess garantiert noch nicht die anhaltende Speicherung und die spontane Reproduktion der neuen Wörter. Mehrere Wiederholungen sind dazu nötig.

Bedeutungen sind oft noch unvollständig:
Übergeneralisierung/Überdehnung: z.B. "Hund" steht für alle Vierbeiner
Überdiskriminierung: z.B. Möbel nur für Stuhl und Tisch

Hört ein Kind ein Wort, nimmt es an, dass sich das Wort auf das ganze Objekt bezieht und nicht auf Teile und Eigenschaften (Ganzheitsannahme) und dass dieses Wort eine taxonomische Relation (z.B. Bus zu Zug) anzeigt (Taxonomieannahme).
Oft geht das Kind davon aus, dass ein Objekt nur einen Namen haben kann (Disjunktionsannahme).

3. Der prädikative Wortschatz ab 2;6

Ab 100-400 Wörter erfolgt eine Ausdifferenzierung nach Wortarten.
- Dominanz der Nomen nimmt ab
 - Umfang an Verben und Adverbien nimmt linear zu (Schwelle für grammatische Entwicklung)

Ab dem 3. Lebensjahr wird Syntax zum Rahmen für weitere Semantikentwicklung und Ausdifferenzierung des Wortschatzes.

Ab dem 4./5. Lebensjahr bilden sich Wortfelder und semantische Relationen aus. Kinder lernen 5-10 neue Wörter täglich.

Wortschatzumfang eines Grundschülers:
Rezeptiv: 10 000 – 15 000 Wörter.
Spontan produktiv: 3 000 – 5 000 Wörter.

Pragmatische Ansätze zum semantischen Lernen

Pragmatischer Ansatz: semantisches Lernen geschieht in Interaktionszusammenhängen

Die Entwicklung der semantischen Fähigkeiten (Wortbedeutung) kann nicht losgelöst von der Entwicklung
der anderen sprachlichen und der nichtsprachlichen Fähigkeiten verstanden werden.
Der Erwerb der ersten Wörter ist stets mit konkreten  Handlungen und Interaktionen zwischen Kind
und Bezugspersonen verbunden. Wichtig sind der Umgang mit Spielgegenständen, Nachahmung,
Symbolspiel und die Auseinandersetzung mit anderen Personen.

Zollinger (1995) bezeichnet den triangulären Blickkontakt als Ursprung der Sprache.
Beim triangulären Blickkontakt vergewissert sich das Kind durch Blick auf die Mutter, dass sie auch auf denselben Gegenstand schaut.

Störungen der lexikalisch-semantischen Entwicklung: Störungen des semantischen Lernens in Interaktionszusammenhängen.


Überblick über den Entwicklungsverlauf des frühen Spracherwerbs:

Bis 5 Monate: Mutter-Kind-Interaktion ist auf den direkten  Austausch von Bedürfnissen und Gefühlen beschränkt,
hauptsächlich über nonverbale Kanäle (Berührungen, Mimik, Blickkontakt)

Ab 6. Monat: Gegenstände erhalten Bedeutung ohne dass sie in die direkte Mutter-Kind-Interaktion eingebunden werden,
das Kind beschäftigt sich mit der Mutter ODER mit dem Gegenstand.

Ab 9 Monaten: triangulärer Blickkontakt, Dreiecksbeziehung Mutter-Kind-Gegenstand,
Kind bezieht Mutter in die Interaktion mit dem Gegenstand mit ein.

Ab 11 Monaten: erste Protowörter, dann erste Interaktionsspiele (guck-guck-da),
konventionelle Gesten (Zeigen) und Benennungsspiele
weitere Entwicklung s.o.

 

Praevalenz

Kleinkindalter: für die Gruppe der zweijährigen Risikokinder – die sog. late talker – sind gerade die Wortschatzerwerbsprobleme der Hauptindikator für eine gefährdete Sprachentwicklung. Diese Gruppe macht immerhin 18% der Population aus (vgl. Grimm & Doil 2001).

Grundschulalter: in einer eigenen Fragebogen-Untersuchung von Lehrern aus Grundschul-Regelklassen wurden etwa 30% ihrer insgesamt über hundert Schülerinnen und Schüler als wortschatzschwach eingeschätzt. In der Sprachheilschule erreicht dieser Anteil bis zu 60% (vgl. Gieseke & Harbrucker 1991). In der Schülerschaft der Schule zur Lernförderung werden einer eigenen Erhebung nach immerhin ca. 40% der Schülerinnen und Schüler von den Lehrkräften als wortschatzschwach eingeordnet. Auch wenn diese Angaben nur auf Beobachtungen der Lehrkräfte und nicht auf direkt an den Kindern erhobenen Daten beruhen, so wird dennoch die erhebliche Größenordnung der Problematik erkennbar.

Auskunft von sonderpädagogischen Lehrkräften in Bezug auf Wortfindungsstörungen: 37% der Sprachheilschüler und 47% der Schüler der Lernförderschule weisen Symptome von Wortfindungsstörungen auf.

Erwachsenenalter: geringe Auffälligkeit in den semantisch- lexikalischen Fähigkeiten.


Eingeschränkte, semantisch-lexikalische Fähigkeiten treten häufig mit anderen Problembereichen gemeinsam auf. Hier werden genannt:
- semantisch-lexikalische Störungen im Zusammenhang mit der Spezifischen Sprachentwicklungsstörung (vgl. Kail & Leonard 1986)
- semantisch-lexikalische Störungen im Zusammenhang mit umschriebenen Lernschwächen (vgl. Wiig & Semel 1984)
- semantisch-lexikalische Störungen im Zusammenhang mit Leseschwächen (vgl. Wolf & Obregón 1992)
- semantisch-lexikalische Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit frühkindlichem Autismus (vgl. Büttner 1995)

Semantisch-lexikalische Störungen treten auch bei Kindern im Rahmen seltener, erworbener, neurologischer Erkrankungen auf (Landau-Kleffner-Syndrom, vgl. Baur 1996; Erworbene kindliche Aphasie, vgl. Fabbro 2004).

 

Symptome

Symptome betreffen verschiedene quantitative und qualitative Aspekte des Wortschatzes, vor allem die Größe und Zusammensetzung, aber auch die Art von Ersatzwörtern und Fehlproduktionen, sowie Sprachperformanz.

1. Wortschatzeinschränkungen

- Umfang des Wortschatzes
- Zusammensetzung nicht entwicklungsgemäß (Anteil Nomina überproportional zu Verbanteil oder Anteil der Adjektive); Funktionswörter (v.a. Präpositionen und Konjunktionen) werden häufig semantisch und syntaktisch inkorrekt eingesetzt
- Vielzweckwörter (Dings, tun,super, und dann) - mangelnde Vielfalt im Wortschatz
- Oft nur Wörter, die semantisch gesehen Basiskategorien angehören, sensorisch erfahrbare Referenten haben und somit wenig abstrakt sind
- Aber gut ausgebaute Interessenswortschätze möglich


2. Ersetzungen (statt angezielten Wortes wird ein Ersatzwort gewählt-Paraphasie) und Fehlproduktionen
- Semantische Paraphasie: Ersatzwort ist Zielwort bedeutungsähnlich. Ersetzungswort wird in seiner semantischen Relation zum Zielwort beurteilt:
 - Hyperonym (Oberbegriff) : "Haus" statt Schule
 - Kohyponym (nebengeordneter Begriff) : "Buch" (Zeitung)
 - Meronym (Begriff eines Teils beziehungsweise des Ganzen) : "Ast" (Baum)
 - Funktionsbezug: "Glattmacher" (Bügeleisen)
 - Visuelle Ähnlichkeit: "Banane" (Bumerang)

- Phonologische Paraphasie: Ersatzwort ist dem Zielwort klangähnlich:
 - Gemeinsame Silben: "telefonieren" (fotografieren)
 - Änderung der Phonemfolge: "Lokotomive" (Lokomotive)
 - Änderung der Morphemfolge: "Wortstörungsfindung" (Wortfindungsstörung)

- Gemischt semantisch-phonologische Paraphasie: Ersatzwort ist dem Zielwort bedeutungs-und klangähnlich: "Schlüssel" (Schloss)
- Umschreibungen: Ersatzwort drückt Aspekte der Funktion, des Materials oder des äußeren Zielwortreferenten aus : "da zum Hochfahren" (Rolltreppe)
- Neologismen: Ersatzwort ist eine ungewöhnliche Wortneuschöpfung unter Verwendung existierender Wörter (z.B.: Substantivierung oder Kompositabildung): "Totmacher" (Jäger)
- Unspezifische Wörter und Phrasen: Vielzweckwörter oder unbestimmte pronominale Referenzen ersetzen das korrekte  Zielwort: "solche Dinger, weißt schon"


3. Performanzauffälligkeiten

- Abbrüche, Neuansätze, Umformulierungen

- Themenvermeidung

- Merkmale der Zeitstruktur:
 *Verzögerungen (durch verlängerte Abrufzeiten bedingt): "Mama backt immer...(6 Sekunden)...Marmorkuchen."
 *Unterbrechungen;
 *Pausenfüller (Füllsel während lexikalischer Suchvorgänge): "uhm, äh";
 *Perseverationen (unnötige Wiederholungen von Wörtern und Phrasen): "Das ist...das ist ein Kran"

- Selbstgegebene Abrufhilfen:                                                                                                                                                                                                                                    *Nennen des Anfangslautes (das momentan noch abrufbare phonologische Wissen der Wortform kann als Abrufhilfe dienen): "das ist ein E..." (Esel);   *Artikulatorische Suchbewegungen (probeweises, stummes Formulieren, ob das gefundene Wort passt- eine Selbstkorrektur- und Abrufhilfe);                              *Starter: "Also..."

- Gesten (als nonverbaler Metakommentar, als nonverbaler, kommunikativer Ersatz oder als Abrufhilfe): " Der hat so ´n Ding" schlägt dazu mit Handkante auf den Tisch (Axt)
- Metakommentare (Bemerkungen, die die eigene, beeinträchtigte Sprachverarbeitung betreffen): "Wie heißt das gleich?", "Das Wort hab ich schon wieder vergessen."


4. Begleit- und Folgesymptomatik

Wortschatzarme Kinder können auch dadurch auffallen, dass sie

- weniger eigenaktiv ihrem Neugierverhalten nachgeben,

- keine Bedürfnisspannung spüren, lexikalische Lücken zu schließen und / oder

- keine Möglichkeiten entwickelt haben, etwa durch Nachfragen lexikalische Konzepte aufzubauen oder zu verändern

- solche Haltungen können auch über wechselwirkende Interaktionen innerhalb eines Familiensystems entstehen oder verstärkt werden

- Wirken außerdem zurück auf Persönlichkeits-, Sozial- und Leistungsentwicklung:
      *Unsicherheiten über Wortschätze und Verfügbarkeit schränken kommunikative Vielfalt ein
      *begrenzen Möglichkeit über Sprache nach außen
      *und über Sprache nach innen, regulierend zu wirken

- Probleme mit schulischen Leistungen insbesondere bezüglich
      *Schriftspracherwerb
      *Schriftsprachgebrauch
      *Fremdsprachenerwerb


Ursachen

Bisher ist es nicht gelungen eine eindeutige Ursache für die Gesamtgruppe der betroffenen Kinder und Jugendlichen zu geben.
Zur Ursache semantisch-lexikalischer Störungen ergeben sich jedoch folgende, mögliche Ansatzpunkte:

Semantisch-konzeptuelles Problem
Die Ursache liegt auf der semantisch-konzeptuellen Ebene (= Lemma-Ebene des mentalen Lexikons), also auf der Ebene, die allgemeinen, kognitiven Mechanismen unterliegt. Dies bedeutet, dass Betroffene zwar keine gravierenden, kognitiven Defizite aufweisen, jedoch subtile Einschränkungen vorliegen können.
Im Gegensatz zu nicht-sprachentwicklungsgestörten Kindern ist die Wortlernleistung geringer und auch die langfristige Speicherung und der Abruf der gelernten Wörter stellt ein großes Problem dar.

⇒ Auf der Ebene der lexikalischen Konzepte und der mit ihnen verbundenen Lemmata sind weniger Einträge vorhanden. Diese Einträge sind semantisch weniger differenziert ausgearbeitet und untereinander schlechter verknüpft.

 

Phonologische Auffälligkeiten
Hier liegt die Ursache auf Ebenen, die vor allem linguistische (syntaktische, morphologische und phonologische) Bedingungen berücksichtigen. Betroffene Kinder weisen häufig unsichere, phonologische Repräsentationen auf (Bsp.: Probleme beim Nachsprechen von Pseudowörtern, Silbensegmentation, phonologische Fehler bei Benennungsaufgaben)

⇒ Versucht das Kind, von der Lemma-Ebene aus, die zu einem lexikalischen Konzept gehörige Wortform aufzurufen, so können u.U. die unzureichend ausgearbeiteten phonologischen Repräsentationen, die für die Erstellung der artikulatorischen Programmierung notwendigen detaillierten Informationen nicht liefern.

 

Abruf- oder Speicherprobleme
Es handelt sich hier um ein Problem der Speicherung und Speicherorganisation von Einträgen im mentalen Lexikon ODER um Probleme des Abrufs dieser Einträge im Verlauf des Sprachproduktionsprozesses. Abruf und Speicherung sind dabei eng miteinander verwoben, sodass nicht mit 100%iger Sicherheit bestimmt werden kann, ob z.B. bei einem Kind mit Wortabrufstörung eine Störung der Speicherung oder des Abrufs vorliegt.

⇒ Kinder mit semantisch-lexikalischen Störungen sind durchaus in der Lage, neue Einträge aufzunehmen, Kategorien zu bilden und Verknüpfungen herzustellen. Dies alles erfolgt aber in einem geringeren Ausmaße. Auch die Abrufprozesse scheinen sich qualitativ nicht von denen nicht-sprachentwicklungsgestörter Kinder zu unterscheiden. Auffällig sind aber vor allem die höhere Fehlerhäufigkeit und die Verlangsamung des Abrufs.

 

Kapazitäts- und Verarbeitungsprobleme
Es gibt zu Grunde liegende Besonderheiten hinsichtlich Kapazität und Geschwindigkeit der Informationverarbeitung.

⇒ Die Kapazität des phonologischen Arbeitsgedächtnisses ist bei Kindern mit SSES eingeschränkt, deshalb ist die Qualität beim Aufbau neuer, phonologischer Repräsentationen (= das Erlernen neuer Wörter) verringert. Es kommt also zu einer schlechteren /geringeren Aufnahme und Analyse von phonologischem Material.
Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses bei Kindern im Vorschulalter hat prädiktiven Wert für die Größe des Wortschatzes.

⇒ Die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung bei Kindern mit SSES ist teilweise herabgesetzt. Ob es sich hierbei um ein generelles Defizit oder um ein spezifisches Phänomen der Sprachverarbeitung handelt, ist umstritten. Die angesprochene Verlangsamung hat negative Rückwirkungen auf die Kapazität des phonologischen Arbeitsgedächtnisses.


Neben den oben genannten 4 möglichen INTERNALEN Ursachen gibt es auch noch EXTERNALE Ursachen. Dazu zählt beispielsweise das sozial-kulturelle Umfeld eines Kindes.

 

Theoretische Grundlagen

Das mentale Lexikon

Zur Erklärung von lexikalischen Störungen kann das Modell des mentalen Lexikons herangezogen werden.
Das mentale Lexikon („inneres Lexikon“) ist ein Langzeitspeicher für Wörter und deren Bedeutung.
Durch die Notwendigkeit, dass Wortinformationen über einen längeren Zeitraum abrufbar sein müssen, befindet sich das mentale Lexikon im Langzeitgedächtnis.

Die zwei Komponenten des mentalen Lexikons sind:

Lemma-Ebene :
- Semantik: Information zur Wortbedeutung
- Grammatik: syntaktische Information (Wortart, Genus, Verbvalenz)

Lexem-Ebene :
- Morphologie: orthographische Information (Zusammensetzung eines Wortes)
- Phonologie: phonologische Information durch auditives Bild (Klang eines Wortes)


Störungen in der Struktur des mentalen Lexikons können in drei Teilbereichen der lexikalischen Repräsentation auftreten:
- Störungen in der Organisation des Wortschatzes (Inventarstörungen)
- Störungen im semantischen Lexikon (Störungen im Bedeutungsaufbau und in den Bedeutungsbeziehungen der Wörter)
- Störungen im Lexikon der Wortformen (phonologischen Repräsentation)

 

Theorien zur Bedeutungsentwicklung

Merkmalstheoretische Wortbedeutungsentwicklung (E. Clark)
Semantische Merkmale eines Wortes werden erlernt und allmählich die kritischen perzeptuellen Merkmale der Objektwörter differenziert und klassifiziert.
Anhand der kritischen perzeptionellen Merkmale ergeben sich Wortbedeutungen aus „Bündel“ von Merkmalen, z.B.: Hund = Vierbeinigkeit + bellt + beisst. Allgemeine semantische Merkmale werden zuerst gelernt, erst nach und nach werden die spezifischeren ausdifferenziert.


Aktivitätstheoretische Wortbedeutungsentwicklung (K. Nelson)
Nach der Theorie des „funktionalen Kerns“ entsteht zuerst eine nichtsprachliche Erkenntnis des Objektes, bevor sich eine Wortbedeutung bilden kann. Die Funktion oder Aktivität des Objektes ausschlaggebend ist.
Die erste Phase der Bedeutungsentwicklung ist die Begriffsentstehung durch die funktionale Analyse (z.B. des Objektes Ball) mit dem Ergebnis des funktionalen Kernes (z.B. rollen, werfen, fangen).
Danach findet eine Abstraktion der statischen perzeptuellen Merkmale des Objektes (z.B. „rund“ bei Ball) statt und mit Übernahme der Bezeichnung „Ball“, wenn in Anwesenheit eines Balles das Wort „Ball“ gehört wird.
Das erkannte Objekt und der funktional und perzeptuell gebildete Begriff werden mit der Benennung verbunden.


Prototypentheoreitsche Wortbedeutungsentwicklung (R. Rosch)
Bedeutungsentwicklung erfolgt über die Bildung von prototypischen Begriffen.
Prototypen sind Kategorie-Mitglieder, die als typische Vertreter gelten, z.B. Amsel (Vogel).
Bei Kindern ist meist das erste Objekt, auf das sie mit dem betreffenden Wort Bezug nehmen, der Prototyp. Sie hören das Wort in einer bestimmten Situation und verwenden es in einer ähnlichen.


Kontrasttheoretische Wortbedeutungsentwicklung
Die Steuerung der Wortbedeutungsentwicklung erfolgt durch die Prinzipien des Kontrastes und der Konventionalität.
Ein neues Wort wird mit den bereits bekannten Wörtern kontrastiert mit der Feststellung, dass es eine bisher nicht benannte (und bekannte) Begriffskategorie repräsentiert. Wenn keine Wörter angeboten werden, wird versucht, die Wortschatzlücken durch Überdehnungen, Wortneubildungen oder Allzweckwörter zu schließen.


Begriffsorientierte Bedeutungsentwicklung (F. Affolter)
Die Theorie stützt sich auf die kognitive Begriffsbildung nach Piaget.
Ausgangsthese ist, dass sensomotorische Handlungschemata die Basis der ersten verbalen Schemata abgeben (in der Interaktion mit der personalen und physikalischen Umwelt).

Das Wort löst zunächst intendierte Reaktionen nur im Zusammenhang mit einer bestimmten Intonation, Mimik und Gestik aus (situationsbedingt).

Erst allmählich gewinnt der Lautkomplex relative Unabhängigkeit, indem sich eine verallgemeinernde Funktion der Wortbedeutung herausbildet (situationsunabhängig). Das Wort behält zwar seine gegenständliche Bezogenheit, wird jedoch in jeweils andere Zusammenhänge eingeordnet.

Bedeutungen entstehen durch die Verbindung zwischen Wort und Begriff.

 

Literatur
Böhme, G. (2003). Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Stuttgart: Fischer.

Braun, O. (2006). Sprachstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Stuttgart: Kohlhammer.

Glück, C. W. (2001): Semantisch-lexikalische Störungen als Teilsymptomatik von Sprachentwicklungsstörungen. In: Manfred Grohnfeldt (Hg.): Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Bd. 2 Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer, S. 75–87.

Glück, C. W. (2007). Wortschatz- und Wortfindungstest für 6- bis 10-Jährige (WWT6-10). München: Elsevier.

Grohnfeldt, M. (2001). Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Bd. 2 Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer.

Siegmüller, J. & Bartels, H. (2006). Leitfaden Sprache - Sprechen - Stimme - Schlucken. München [u.a.]: Elsevier, Urban und  Fischer.