Aussprachestörungen/ Phonetisch-phonologische Störungen

 

Definition

Bei Aussprachestörungen bestehen Schwierigkeiten, die Laute der Zielsprache altersentsprechend und umweltgerecht korrekt zu bilden und/oder korrekt zu verwenden. Es können einzelne oder mehrere Laute oder auch ganze Lautklassen betroffen sein, die fehlgebildet, ersetzt oder ausgelassen werden.

Aussprachestörungen können symptomatisch im Rahmen von organischen Störungen auftreten, z.B. bei Dysarthrien, Dysglossien, Hörschädigungen.

Bei funktionellen Aussprachestörungen, d.h. ohne nachweisbare organische Ursachen, kann unterschieden werden:

1. phonetische Störung (SPRECHstörung)
= die Artikulation ist betroffen, d.h. die geistige, innere Form der Sprache ist korrekt, aber bei der lautlichen Realisation der inneren Sprache kommt es zu Störungen

2. phonologische Störung (SPRACHstörung)
= das sprachliche Wissen (phonologisches Regelsystem) ist betroffen und führt zu Besonderheiten bereits auf der Ebene der geistigen, inneren Form der Sprache, so dass, obwohl die lautliche Realisation korrekt möglich wäre, die lautliche Realisation dieser veränderten, inneren Sprache auch gestört erscheint.

3. phonetisch-phonologische Störung
= beide Formen können gemischt auftreten: sowohl die innere Form der Sprache als auch die lautliche Realisation weisen Störungen auf.

Diese Störungen können isoliert oder in Verbindung mit Auffälligkeiten auf anderen Sprachebenen auftreten, vor allem als Teilsymptomatik einer Spezifischen Sprachentwicklungsstörung.

Weitere gebräuchliche Begriffe: funktionelle Dyslalie bzw. funktionelles Stammeln (=traditionelle Terminologie ohne Unterscheidung in phonetische und phonologische Störungen), Artikulationsstörung (=bezieht sich nur auf phonetische Aspekte), Lautbildungsstörung (=ebenso)

 

Klassifikation und Terminologie


Phonetische Störungen

Eine Phonetische Störung (auch: Artikulationsstörung) ist eine Sprechstörung, bei der die Sprechmotorik eingeschränkt ist und/oder Auffälligkeiten der intraoralen Sensorik vorliegen. Somit ist die Phonbildung gestört und der betroffene Laut kann isoliert (also als Einzellaut) nicht gebildet werden. Dies äußert sich in Fehlbildungen (Ersetzungen durch nicht muttersprachliche Laute) oder Ersetzungen (durch andere muttersprachliche Laute, die artikulationsmotorisch einfacher zu bilden sind und dementsprechend früher im Lauterwerb erworben werden)(vgl. Wildegger-Lack in Grohnfeldt, 2001).

Jedoch ist das für das Sprechen notwendige sprachliche Wissen (=das phonologische Regelsystem) intakt.

In einer funktional-phonologischen Perspektive darf die auffällige Realisation nicht in phonemischem Kontrast zur Zielform steht, d.h. die bedeutungsunterscheidende Funktion von Lauten wird bei phonetischen Störungen nicht verletzt (vgl. unten: Klassifikationsmodell von Fox & Dodd).

Anmerkung: Phone werden in [ ] dargestellt, Phoneme in / /. Da in der hier verwendeten Schriftart nicht alle Laute in phonetischer Schrift IPA abgebildet werden können, wird teilweise auf schriftsprachliche Darstellungen in " " zurückgegriffen.

Ausgewählte, häufige phonetische Störungen
Sigmatismen:

Unter Sigmatismen versteht man verschiedene Arten von Fehlbildungen der Frikative /s/ und /z/.
Es gibt zwei Arten der korrekten Lautbildung: dorsal und apikal. Bei der dorsalen oder auch prädorsalen Bildung des Frikativs wird die Zunge an die hintere Beißkante der unteren Schneidezähne angelegt. Die apikale Lautbildung erfolgt in Richtung auf die hintere obere Zahnreihe, ohne diese beim Aussprechen des Phonems zu berühren. (Vgl.: Böhme 1997, S.48).

Es gibt viele Arten von Sigmatismen. Hier exemplarisch drei Formen(vgl.: Siegmüller / Bartels 2006, S.114):

1. Sigmatismus addentalis: bei dieser Form liegt die Zunge an den oberen Schneidezähnen; die Luft tritt fächerförmig aus; hörbar wird ein unscharfer, dumpfer Klang.

2.  Sigmatismus interdentalis: Zunge befindet sich zwischen den oberen und unteren Schneidezähnen; es erfolgt ein unscharfer, dumpfer Klang.

3.  Sigmatismus lateralis: hier entweicht die Luft mit schlürfendem Klang links oder rechts oder beidseitig aus den Zahnreihen.

/s/-Laute werden häufig bis ins Grundschulalter hinein nicht korrekt gebildet (vgl.: Braun 2006, S.174f). Isoliert auftretende stellen sie erst ab etwa 8 Jahren eine Entwicklungsauffälligkeit dar.

Gründe:
- /s/ und /z/ sind späte Laute in der kindlichen Lautentwicklung
- geringe artikulationsphonetische Variationsbreite für ein akzeptables Klangergebnis
- die Artikulationsstellung muss für die continuant-Laute relativ lange konstant gehalten werden
- notwendige feindifferenzierte auditive Lautwahrnehmung

Rhotazismen:
Rhotazismen sind eine Artikulationsstörung des /r/.
Es gibt drei verschiedene korrekte Realisierungsarten, wobei die verschiedene Aussprache des /r/ im Deutschen nicht bedeutungsunterscheidend ist:

1. alveolarer Trill - Zungenspitzen /r/

2. uvularer Trill - Zäpfchen /R/

3. uvularer Reibelaut in norddeutscher Aussprache als zugelassene Variante

Bei Laut-Ersetzung: /r/ wird meist durch den Liquid-Laut /l/ ersetzt (=Pararhotazismus)

Arhotazismus: völliges Fehlen des gerollten Lautes (fällt nur in Anlautpositionen auf)

Ursachen können auch morphologische Veränderungen der Zungenspitze oder des Gaumens sein z.B. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten.
(vgl. Braun 2006, S.178 und Grohnfeldt 2001, S.33ff und Hacker/Wilgermein, S.37ff)


Weitere Arten von Artikulationsstörungen:
• Schetismus: Der Laut "sch" ist betroffen

• Kappazismus: Der Laut /k/ ist betroffen

• Gammazismus: Der Laut /g/ ist betroffen

• Lambdazismus: Der Laut /l/ ist betroffen


Phonologische Entwicklungsstörungen

Phonologische Störung
Während sich die phonetische Störung auf die Artikulation der Laute bezieht, betrifft die phonologische Störung den systematischen Gebrauch der Laute.

Je nach theoretischem Hintergrund wird der Begriff der phonologischen Störung verschieden gebraucht.
Phonologische Störung als:
- Persistieren (Bestehenbleiben) von abzubauenden, phonologischen Prozessen (Entwicklungsperspektive)                                                                   - Störung, die sich auf die nicht-berücksichtigte funktionale Qualität von Lauten bezieht (funktionale Perspektive), d.h. die bedeutungsunterscheidende Funktion von Lauten wird nicht beachtet
- als Ausdruck unvollständigen, sprachlichen (hier: phonologischen) Wissens (Kompetenz-Störung s. Performanz-Störung)


Phonologie bezieht sich auf das Regelsystem, welches unserer Sprache zugrunde liegt. Bei einer phonologischen Störung kann das Kind die Laute als Phone zwar korrekt bilden, verwendet sie aber nicht korrekt in ihrer bedeutungsdifferenzierenden Funktion als Phoneme.

Anmerkung: Phoneme werden in / / dargestellt, Phone in [ ]. Da in der hier verwendeten Schriftart nicht alle Laute in phonetischer Schrift IPA abgebildet werden können, wird teilweise auf schriftsprachliche Darstellungen in " " zurückgegriffen.

Phonologische Prozesse:                                                                                                   

Der Begriff der Phonologischen Prozesse ist ursprünglich ein deskriptiver Begriff der Linguistik. Häufig wird er jedoch explikativ (=erklärend) verwendet.

Im Spracherwerb vom 2. bis 5. Lebensjahr zeigt das Kind bestimmte, von der Standardsprache abweichende Besonderheiten beim Sprechen, die als phonologische Prozesse bezeichnet werden und physiologisch, d.h. im ungestörten Erwerb typisch sind. Spracherwerb bedeutet also in diesem Zusammenhang: Überwindung der Phonologischen Prozesse. Die meisten dieser Prozesse sind mit zwei bis fünf Jahren abgebaut. Ausnahme bildet die Vereinfachung von Mehrfachkonsonanz, die sogar noch mit sechs bis sieben Jahren auftreten kann.

Silbenstrukturprozesse:
Durch Auslassung, Addition oder Umstellung von Lauten bzw. Silben werden Silben- und Wortstrukturen verändert. Der bei Kindern am häufigsten auftretende Silbenstrukturprozess ist die Reduktion von Mehrfachkonsonanz.

  - Auslassung:
        - Auslassung finaler Konsonanten:   Gabel → [gabə]
        - Auslasssung unbetonter Silben:    Banane → [na:nə]
        - Addition oder Epenthesis:   Brot → [bəro:t]
        - Silbenwiederholungen:    Wasser → [vava]
        - Silbenreduktionen, Auslassung unbetonter Silben:   Zitrone → [ro:nə]
        - Vereinfachung (oder: Reduktion) von Mehrfachkonsonanz
        - partielle Ersetzung:  Treppe → [krεpə]
        - vollständige Ersetzung:  Treppe → [klεpə]
        - Reduktion auf den ersten Konsonanten:   Brot → [bo:t]
        - Reduktion auf den zweiten Konsonanten:   Spinne → [pInə]
        - Reduktion auf den dritten Konsonanten:    Strick → [rIk]
        - Reduktion auf einen Ersatz-Konsonanten:   Schwein → [raIn]
        - Auslassung:    Stein → [aIn]


Substitutionsprozesse (Ersetzungsprozesse):                                                                                                                                                                   Lauteigenschaften werden verändert, die den Artikulationsort, die Artikulationsart oder die Stimmhaftigkeit betreffen.

Artikulationsort bzw. -stelle (Vorverlagerung-Vv/Rückverlagerung-Rv)

      - Labialisierung: Kamm → [pam] (Vv)
      - Alveolarisierung: Gabel → [dabəl] (Vv)
      - Velarisierung: Tante → [kantə] (Rv)

Artikulationsart oder -modus

      - Plosivierung/Frikativierung:  Löwe → [lø:bə] (Plosivierung)
      - Affrizierung/Deaffrizierung:  Löffel → [lœpfəl] (Affrizierung)
      - Nasalierung/Denasalierung:  Nase → [da:zə] (Denasalierung)
    
Stimmhaftigkeit
      - Stimmgebung/Stimmverlust:   Kamm → [gam]

 

Umgebungsprozesse (Harmonisierungsprozesse):                                                                                                                                                                                                            Bei der Analyse phonologischer Prozesse sollte immer auch der phonetische Kontext berücksichtigt werden, also ob eine Lautersetzung lediglich als Angleichung an eine bestimmte lautliche Umgebung zu bewerten ist, oder ob sie unabhängig davon auftritt.

Assimilationen
     - Labialassimilation:    Gabel → [babəl]
     - Velarassimilation:    Tag → [gag]
     - Nasalassimilation:    Hand → [nan]
     - regressive Assimilation - nachfolgender Laut beeinflusst vorhergehenden Laut: Schaf → [faf]
     - progressive Assimilation - vorhergehender Laut beeinflusst nachfolgenden Laut:  Mann → [mam]

Klassifikationsmodell für funktionelle Aussprachestörungen nach Fox & Dodd

Annette Fox übertrug das Klassifikationsmodell von Barbara Dodd (1995) aus dem britischen Sprachraum in den deutschen. Sie führte dazu eine Studie mit deutschsprachigen Kindern durch, bei denen der Verdacht auf eine Aussprachestörung bestand. Bei diesen Kindern lag keine organische Ursache für die Aussprachestörung zugrunde  (A. Fox 2003).

Hauptbestandteile der Untersuchung waren
a)Konsequenz der Wortproduktion:
Das Kind musste während einer Therapiesitzung Wörter mehrmals benennen. Ausgewertet wurde der Prozentsatz der Wörter, die vom Kind identisch realisiert wurde und der Anteil der Variationen für das Zielwort.
b)Phonetisches Inventar eines Kindes:
War das Kind in der Lage, alle Laute, die es in seinem Alter produzieren können sollte, zu realisieren?

Nach diesem Modell können aussprachegestörte Kinder in 4 Untergruppen eingeteilt werden.

1. Phonetische Störung
Dazu zählt die Unfähigkeit, eine wahrnehmungsmäßig annehmbare Version eines Phons zu produzieren, isoliert oder in jeglichem phonetischen Kontext.
Das heißt, alle phonemischen Kontraste bleiben erhalten, die Bedeutung des Gesprochenen bleibt gleich.
Für die deutsche Sprache liegt diese phonetische Störung nur vor, wenn ein Kind zeigt:
  a) einen Schetismus lateralis und/oder
  b) einen isolierten Sigmatismus oder  
  c) eine multiple Interdentalität (mehrere Laute /s/, /z/, evtl. "sch", /m/, /l/ werden mit interdentaler Zungenspitze produziert)


2. Phonologische Verzögerung
Ein Kind zeigt ausschließlich physiologische Prozesse, d.h. Prozesse, die im ungestörten Erwerb auftreten, wobei mindestens ein Prozess mindestens 6 Monate länger besteht als typischerweise zu erwarten wäre.
Die häufigsten, verzögerten Prozesse des Deutschen sind:
  - Vorverlagerung von Velaren (/k/→/t/, /g/→/d/, "ng"→/n/)
  - Vorverlagerung von Sibilanten ("sch"→/s/, "ch1"→/s/)
  - Reduktion von Konsonantenverbindungen (s.o.)

3. Konsequente Phonologische Störung
Das Kind zeigt mindestens einen nicht-physiologischen Prozess. Dieser kommt in dieser Form nicht in der regulären Entwicklung von Kindern der gleichen Muttersprache vor:
  - Der Prozess taucht in der ungestörten Entwicklung nie auf (z.B. alle Frikative werden zu /h/)
 - Der Prozess tritt bei einem Phonem auf, bei dem er typischerweise nicht auftritt (Rückverlagerung der Alveolaren /d/ /t/ /n/ zu Velaren, demgegenüber ist Rückverlagerung bei "sch" und "ch1" typisch).
  - Der Prozess tritt in ungewohnter Häufigkeit auf (z.B. Plosivierung kommt typischerweise vor, aber nicht Plosivierung aller Frikative)
  - Es liegt keine Inkonsequente Phonologische Störung vor (s.u.)

4. Inkonsequente Phonologische Störung
Ein Kind realisiert identische lexikalische Items eines Benenntests nicht immer auf die gleiche Weise. Als Kriterium gilt, dass mindestens 40 % der Wörter im Benenntest inkonsequent lautlich realisiert werden.


Traditionelle Klassifikation und Terminologie

Der Begriff Dyslalie (deutsch: Stammeln) wurde von A. Kussmaul (1885) eingeführt.

Dys- ist die griechische Vorsilbe für abweichend, schlecht, krankhaft und -lalie ist das griechische Wort für "sprechen, reden".

Der Begriff Dyslalie selbst ist allein nur beschreibend und noch nicht erklärend. Um erklärende Aspekte mit aufzunehmen gibt es noch differenziertere Aufteilungen nach verschiedenen Gesichtspunkten.

Im Zusammenhang mit funktionellen Aussprachestörungen wird der Begriff der funktionellen Dyslalie nur deskriptiv, symptombeschreibend verstanden, da der Begriff nicht zwischen phonetischem und phonologischem Aspekt der Aussprachestörung unterscheidet. Da diese Unterscheidung für die Therapie jedoch weitreichende Konsequenzen hat, wird deutlich, warum der Begriff der Dyslalie als unzureichend angesehen werden muss.

Dennoch sollten die traditionellen Einteilungen bekannt sein.

1. Quantitativer Aspekt (Einteilung nach Lautausfällen bzw. Lautfehlbildung)

1.1 Isolierte Dyslalie: betrifft nur einen Laut, dadurch ist die Verständlichkeit des Sprechens kaum eingeschränkt.

1.2 Partielle Dyslalie: beruht auf ein bis zwei falsch realisierten oder fehlenden Lauten - das Sprechen ist noch gut verständlich.

1.3 Multiple Dyslalie: betrifft mehr als zwei Laute. Die Sprechverständlichkeit ist durch die Fehlbildung vieler Phoneme deutlich erschwert.

1.4 Universelle Dyslalie: betrifft mehr als fünf Laute - das Kind ist sehr schwer verständlich

2. Qualitativer Aspekt

2.1 Mogilalie (Elision, Auslassung): Die betroffenen Laute werden ausgelassen, z.B. "bile"/"spielen", "abel"/"Gabel"...
BEZEICHNUNG: Vorsilbe "a-", z.B. Asigmatismus bei Auslassung des /s/

2.2 Paralalie (Substitution/ Ersetzung): Die betroffenen Laute werden durch andere in der Muttersprache vorkommende Laute ersetzt, z.B. "duch²en"/"Kuchen", "son"/"schon", ...
BEZEICHNUNG: Vorsilbe "para-", z.B. Parakappazismus bei Ersetzung des /k/ durch /t/

2.3 Dyslalie im engeren Sinne: Die betroffenen Laute werden falsch, d.h. von der phonetischen Aussprachenorm abweichend gebildet, z.B. wird das /s/ mit der Zungenspitze zwischen den Schneidezähnen gebildet --> Sigmatismus

BEZEICHNUNG: Die verschiedenen Formen werden durch Anhängen der Endung "tismus" oder "zismus" an die den phonetisch falsch gebildeten Lauten zuzuordnenden Buchstabenbezeichnungen des griechischen Alphabets gebildet, z.B. /s/-Stammeln → Sigmatismus, /g/-Stammeln → Gammazismus.

3. Symptomatischer Aspekt

3.1 Lautdyslalie: Die Einzellautbildung gelingt nicht, z.B. "sch" kann als Geräusch nicht nachgeahmt werden.

3.2 Kontextdyslalie: Hier gelingt die Bildung des Einzellautes, doch das Einfügen in die Lautfolge noch nicht, z.B. "sch" gelingt, aber trotzdem noch: "Swein". Hier gibt es der Hierarchie nachgeordnet noch die Unterteilung in Silbendyslalie (als Einzellaut gelingt die Realisierung, aber in Silben nicht), Wortdyslalie (Realisierung in Silben gelingt, jedoch nicht im Wort) und Satzdyslalie (Einzelwörter werden richtig gebildet, aber nicht im ganzen Satz).

3.3 Inkonstante Dyslalie: Phonem wird nicht immer richtig oder auch nicht immer falsch, sondern mal falsch und mal richtig gebildet.

3.4 Inkonsequente Dyslalie: Phonem wird nicht immer in gleicher Weise falsch gebildet.

4.  Ätiologischer Aspekt

4.1. Organische Dyslalie: Es liegt eine organische Ursache für die falsche oder fehlende Lautrealisation vor (z.B. Dysarthrie, Dysglossie: LKGS-Fehlbildung)

4.2. Funktionelle Dyslalie: Es liegt keine erkennbare, organische Ursache vor und trotzdem kommt es zu falschen und fehlenden Lautrealisationen

 

Prävalenz

Aussprachestörung als Teilsymptomatik bei Spezifischen Sprachentwicklungsstörungen: Diese treten auf bei 4-7% der Kinder im Vorschulalter.

Isolierte Aussprachestörungen: noch bei weiteren ca. 10% der Kinder im Vorschulalter

Fehlbildungen des /S/-Lauts noch bei:
  - 35% der 6-jährigen
  - 25% der 8-10-jährigen

 

Verlauf

  - Rückstand in der produktiven Lexikonentwicklung im Alter von 24 Monaten
  - Beeinträchtigung des Wortverständnisses
  - eingeschränkte phonologische und prosodische Fähigkeiten
  - Verzögerungen in der Symbolspielentwicklung und bei Kategorisierungsfähigkeiten
 
ältere SSES Kinder können in der Vorschulzeit verschiedene Schwerpunktprofile ausbilden, die sich im Laufe der Zeit als eigenständige Defizite herausstellen.

Jede sprachliche Ebene kann isoliert oder in Kombination mit jeder anderen sprachlichen Ebene betroffen sein (übergreifende Störungen: Kombinationen Phonologie- Phonetik, Lexikon- Semantik, Syntax- Morphologie)

 

Ätiologie

organisch bedingte Aussprachestörungen
 - Erkrankungen und Missbildungen der Artikulationsorgane wie Zahn-und Kieferanomalien, Lähmungen, Verletzungen, Veränderungen in Folge einer Operation,
 - Hörstörungen: auch vorübergehende, wiederholte Schallleitungsstörungen z.B. in Folge rezidivierender Mittelohrentzündungen (otitis media), Schallempfindungsstörungen  
 - Motorische Störungen
 Entwicklungsdyspraxie, Frühkindliche Zerebralparesen mit motorischen Störungen
 - Neurologische Störungen
 - Wahrnehmungsstörungen,
 - zerebrale Störungen: prä-, peri- oder postnatale Hirnschädigung, minimale zerebrale Dysfunktion

soziokulturell bedingte Aussprachestörungen
- geringe Sprechanlässe bzw. Kommunikationsarmut
- ungünstige Sprachvorbilder
- schwierige Lebensumstände
Achtung! Aussprachebesonderheiten von mehrsprachigen Kindern können Folge von noch nicht-ausreichenden Deutschkenntnissen und von Interferenzen mit der Muttersprache sein. Diese Kinder können aber zusätzlich, wie jedes monolinguale Kind auch, Aussprachestörungen haben.

erblich bedingte Aussprachestörungen
- familiäre, genetische Disposition

psychisch bedingte Aussprachestörungen
- neurotische Fehlentwicklung
- Problematische Familieninteraktion (Geschwisterrivalitäten, Trennung von der Familie,..)
- Erziehungsunsicherheiten
(vgl. E. Wildegger-Lack)


Ätiologie in Anlehung an das Klassifikationsmodell von Fox&Dodd

Fox und Dodd unterscheiden vier Gruppen und gehen demnach von gruppenspezifischen Ursachen aus:

Phonetische Störung
URSACHE: ein peripheres, sensuomotorisches Problem liegt zugrunde, z. B. ein falsch erworbenes Artikulationsmuster

Phonologische Verzögerung
URSACHE: z.B. durch audiogene oder psychische Faktoren, in Form einer „Entwicklungsbremse“

Konsequente phonologische Störungen
URSACHE: kognitiv-linguistisches Defizit. Störung im Bereich der Inputverarbeitung

Inkonsequente phonologische Störungen
URSACHE: Defizite im phonologischen Arbeitsgedächtnis und bei der Planung motorischer Programme

 

Literatur

Böhme, G. (2003). Sprach-, Sprech-, Stimm- und Schluckstörungen. Stuttgart: Fischer.

Braun, O. (2004). Sprachstörungen bei Kindern und Jugendlichen. Vol.5, pp. 42-52. Kohlhammer W.

Fox, A. V. (2003). Kindliche Aussprachestörungen. Phonologischer Erwerb, Differentialdiagnostik, Therapie. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag.

Grohnfeldt, M. (2001). Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, Bd. 2 Erscheinungsformen und Störungsbilder. Stuttgart: Kohlhammer.

Siegmüller, J. & Bartels, H. (2006). Leitfaden Sprache - Sprechen - Stimme - Schlucken. München [u.a.]: Elsevier, Urban und  Fischer.

Jahn,Tanja (2007):Phonologische Störungen bei Kindern: Diagnostik und Therapie. Stuttgart

Siegmüller,J., Bartels, H. (2006). Leitfaden Sprache-Sprechen-Stimme-Schlucken. München et al.