Autor: Lena Bogena; stud. paed.; Leibniz Universität Hannover

Dysarthrophonie

Allgemeines

„Das primäre Ziel der Behandlung von Dysarthrien besteht in der spezifischen Reduktion des Störungsumfangs und einer Reduzierung der Behinderung im Alltag“ (Vogel 2002, S. 99). Folglich sollte die Behandlungsplanung neben der Verbesserung des motorischen Vorgangs des Sprechens auch die Kommunikationsfähigkeit und die sozialen Bedingungen berücksichtigen. Dies kann in Anlehnung an das ICIDH-System der Weltgesundheitsorganisation erfolgen (vgl. ebd.).

Grundsätzlich ist es von Bedeutung, dass früh mit einer Therapie begonnen wird (vgl. a.a.O., S. 102). Weitere Leitlinien zur Dysarthriebehandlung lassen sich aus der folgenden Tabelle entnehmen.

Die Behandlung einer Dysarthrie orientiert sich an den Ergebnissen und Hypothesen der Diagnostik. „Die Behandlungsschwerpunkte sollten an den Bewegungskomponenten ansetzen, die die Funktionsfähigkeit anderer Komponenten steuernd beeinflussen“ (Vogel 2002, S. 102). Darüber hinaus sollte die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung unterstützt werden, damit die Patientinnen oder die Patienten ihr Sprechverhalten selbst bewerten und korrigieren können. Die dysarthrische Sprecherin oder der dysarthrische Sprecher versteht sich selbst und ist folglich sehr erstaunt, wenn ihn andere Personen nicht verstehen. Der Therapeut oder die Therapeutin sollte fortwährend versuchen die Motivation der Patientin oder des Patienten aufrecht zu erhalten, indem er sie informiert und die betroffene Person somit ihre bzw. seine Störung und den Behandlungsablauf besser nachvollziehen kann. Außerdem kann sich die Patientin oder der Patient aktiv mit einzelnen Behandlungsschritten auseinander setzen (vgl. a.a.O., S. 102 f.). Die Therapiefrequenz richtet sich nach dem Zeitpunkt des Auftretens des neurologischen Ereignisses. Den GAB und DGNKN-Leitlinien zur Behandlung von Aphasie und Dysarthrie aus dem Jahre 2000 ist Folgendes zu entnehmen:

Mit dem fortschreitenden Verlauf von neurologischen Erkrankungen erhöht sich die Anzahl der wöchentlich durchgeführten Therapien (vgl. GAB & DGNKN- Leitlinien 2000, S. 4 f.).

Da sich kaum Förderungsmöglichkeiten oder Therapiekonzepte zur Behandlung von Dysarthrien im Kindesalter finden lassen, beschränken sich die beiden folgenden Unterkapitel auf Konzepte und Methoden zur Therapie von Dysarthrien im Erwachsenenalter.


Therapiekonzepte oder -richtungen

Die Wahl des Behandlungsansatzes ist abhängig von der Art und dem Schweregrad der Dysarthrie, sowie möglichen Begleitstörungen. Darüber hinaus wird die Behandlung nach den Bedürfnissen der Patientin oder des Patienten gesteuert (vgl. Vogel 2002, S. 103).

Unabhängig von Art und Ausmaß der Sprechstörung kann die Dysarthrietherapie im Einzel- oder Gruppensetting durchgeführt werden. In einer Einzeltherapie wird mit der Patientin oder dem Patienten überwiegend symptomorientiert gearbeitet, es werden individuelle Ziele formuliert und es kommen spezifische Übungsprogramme zum Einsatz. Bei einer Gruppentherapie hingegen findet vorwiegend eine Alltagsorientierung statt und es geht um den Transfer und Informationsaustausch. Es werden themenzentrierte Gespräche und Sprechspiele, sowie Übungen mit Dialogcharakter durchgeführt (vgl. Schubert 2007, S. 53 f.).

Bei einer Dysarthrietherapie können auch elektronische Kommunikationshilfen zum Einsatz kommen. Diese Formen der Hilfsmittel werden eingesetzt, wenn die Sprachverständlichkeit einer Patientin oder eines Patienten aufgrund einer Erkrankung so stark eingeschränkt ist, dass Informationen im Alltag nicht oder lediglich im Ansatz kommuniziert werden können. Das primäre Ziel ist es die gestörte Lautsprache zu unterstützen oder sogar vollkommen zu ersetzten. Alternative Kommunikationshilfen sollte man verwenden, wenn prognostisch kaum Veränderungen der eingetretenen Defizite zu erwarten sind oder die Patientin oder der Patient eine chronische Erkrankung hat und mit dem Fortschreiten die Sprechstörungen den Alltag der betroffenen Person zunehmend einschränken (vgl. a.a.O., S. 54 f.). Auch in der Therapie von Dysarthrien im Kindesalter sollten alternative Symbolsysteme angeboten werden, um Sprache zu erwerben und kommunikative Kompetenz zu erlangen, falls Sprechbewegungen nur unzureichend anzubahnen sind (vgl. Giel 2009, S. 254). Informationen zu einzelnen Kommunikationsgeräten lassen sich bei Schubert 2007 (Seite 55-61) entnehmen.


Methoden


Nach abgeschlossener Diagnostik und Bestimmung der Zielsetzung werden für die Patientin oder den Patienten individuelle Übungen zusammengestellt, die jeweils auf die dysarthrischen Symptome, sowie die motorischen und kognitiven Fähigkeiten der Patientin oder des Patienten abgestimmt werden (vgl. Schubert 2007, S. 66).

Viele Behandlungsmethoden haben eine Indikationserweiterung auf den Behandlungsbereich erwachsener Personen mit einer Dysarthrie erfahren. In der Regel sind diese Methoden jedoch nicht spezifisch für die Behandlung einer zentralen Sprechstörung entwickelt worden und es existieren keine Nachweise über ihre Wirksamkeit (vgl. Ziegler & Vogel 2010, S. 116). „Häufig werden einzelne Übungselemente übernommen oder mit Sprechübungen kombiniert, um damit bestimmte sprechmotorische Defizite zu beheben“ (Ziegler & Vogel 2010, S. 116). Als bedeutende Konzepte, die in der Dysarthrietherapie zum Einsatz kommen und aus der praktischen Anwendung entstanden sind, zählen: die Myofunktionelle Therapie (MFT), die Orofaziale Regulationstherapiedie Facial-Oral-Tract-Therapy (F.O.T.T.) und die Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (PNF). Bei allen vier Behandlungskonzepten wird ein Zusammenhang zwischen Körpermotorik und den verschiedenen sprechmotorischen Funktionskomponenten hergestellt (vgl. ebd., S. 116-117).

Im Folgenden werden Besonderheiten und Übungsbeispiele vorgestellt, die nach den syndromspezifischen Behandlungsansätzen sortiert sind und weiterhin nach den drei Funktionssystemen (Atmung, Phonation/ Prosodie und Artikulation) unterteilt sind.

  • Hypotone Dysathrie
  • Hypertone Dysathrie
  • Rigid-Hypokinetische Dysarthrie

„In der Behandlung der rigid-hypokinetischen Dysarthrie bei Patientinnen oder Patienten mit Morbus Parkinson wird das Lee Silverman Voice Treatment eingesetzt“ (Schubert 2007, S. 84). Diese Therapiemethode wurde von den Sprachtherapeutinnen Lorraine Olson Ramig und Carolyn Mead im Jahre 1987 entwickelt. Der Name der Therapiemethode wurde nach der ersten erfolgreich behandelten Patientin namens Lee Silverman benannt (vgl. Fox et al. 2006, S. 283 ff.).

Die Grundprinzipien des „Lee Silverman Voice Treatment“ sind in der folgenden Tabelle aufgeführt.

Zum Inhalt des Trainings zählen Grundübungen zur Tonhaltedauer und zu Gleittönen. Des Weiteren gehören hierzu Übungen, bei denen es um den Transfer auf Wort-, Satz- und Textebene geht (vgl. Schubert 2007, S. 85). Das Motto des „Lee Silverman Voice Treatments“ lautet: „All you need is loud“. Bei dem Therapieprogramm werden Hilfsmittel wie ein Schalldruckpegelmesser und Protokollbögen verwendet (vgl. ebd.).

  • Ataktische Dysarthrie
  • Dyskinetische Dysarthrie

Die Bewegungsstörung, die dieser Form der Dysarthrie zugrunde liegt, ist durch Therapie kaum reduzierbar (vgl. Schubert 2007, S. 89). Aus diesem Grund empfiehlt Vogel (2010), dass man kompensatorische Techniken in der Therapie anwendet, um im Anschluss deren Wirksamkeit auf die Sprachverständlichkeit zu prüfen. Es lassen sich Überprüfungen einer Veränderung der Sprechstimmlage, der Sprechlautstärke, des Sprechtempos, sowie das Verkürzen der Sprecheinheiten und der Stabilisierung der Rumpf- bzw. Kopfhaltung durchführen (vgl. Schubert 2007, S. 89). Darüber hinaus ist es bei dieser Form der Dysarthrie für die Betroffenen sehr empfehlenswert an einer Gruppentherapie teilzunehmen, da so viele Kommunikationssituationen geschaffen werden können (vgl. ebd.).

  • Gemischte Dysarthrie

„Können die beobachtbaren Symptome in den Funktionskreisen Atmung, Phonation/ Prosodie und Artikulation nicht eindeutig einem Syndrom zugeordnet werden, so geht man von einer gemischten Dysarthrie aus“ (Schubert 2007, S. 90). Schubert empfiehlt daher, dass man die Symptome genau auflistet und anschließend entsprechende Übungen zu den Funktionskreisen auswählt (vgl. ebd.).

 

Literatur

Breitenbach-Snowdon, H. (2003). Untersuchung Neurologisch bedingter Sprech- und Stimmstörungen ( 3. Aufl.). Köln: Prolog.

Fox, C., Ramig, L. O., Ciucci, M. R., Sapir, S., Mc Farland, D. H. & Farley, B. G. (2006). The science and practice of LSVT/LOUD: Neural Plasticity-Principled approach to treating individuals with Parkinson Disease and other neurological disorders. Seminars in Speech and Language, 27 (4), 283–299.

Gesellschaft für Aphasieforschung und -behandlung (GAB) und Deutsche Gesellschaft für Neurotraumatologie und Klinische Neuropsychologie (DGNKN) (2000). Qualitätskriterien und Standards für die Therapie von Patientinnen oder Patientenmit erworbenen neurogenen Störungen der Sprache (Aphasie) und des Sprechens (Dysarthrie).

Giel, B. (2009). Dysarthrie/ Dysathrophonie. In M. Grohnfeldt (Hrsg.), Lehrbuch der Sprachheilpädagogik und Logopädie. Erscheinungsformen und Störungsbilder (S. 270-290). Stuttgart: Kohlhammer.

Michaelis, R. & Edebol-Tysk, K. (1987). Zerebralparesen. Pädoat-Prax, 36, 199-205.

Schubert, A. (2007). Dysarthrie. Diagnostik: Therapie - Beratung. Idstein: Schulz-Kirchner.

Ziegler, W. & Vogel, M. (2010). Dysarthrie verstehen - untersuchen - behandeln. Stuttgart: Thieme.

Ziegler, W., Vogel, M., Gröne, B. & Schröter-Morasch, H. (2002). Dysarthrie. Grundlagen - Diagnostik - Therapie. In L. Springer & D. Schrey-Dern (Hrsg.), Dysarthrie. Grundlagen – Diagnostik – Therapie. Stuttgart: Thieme.