Autor: Lena Bogena; stud. paed.; Leibniz Universität Hannover

Dysarthrophonie

„Um eine effiziente und effektive Therapie planen zu können, ist ein ausführliches Erstgespräch mit dem Patienten sowie eine nachfolgende klinische Diagnostik der Dysarthrie notwendig“ (Schubert 2007, S. 27).

Grundsätzlich wird für eine Dysarthrietherapie im Kindes- und Erwachsenenalter empfohlen, dass man sich auf das Anamnesegespräch vorbereitet, indem man sich über die medizinische Diagnose, die daraus resultierenden neurologischen Symptome in den drei Bereichen Motorik, Kognition, Sprechen und Schluckakt, den Verlauf der Erkrankung, sowie die soziale Situation der Patientin oder des Patienten informiert. Um die Therapie auf die individuellen Bedürfnisse der betroffenen Person abstimmen zu können, sollten die Ziele der Patientin oder des Patienten in Bezug auf die Therapieeinheiten erfragt werden. Bei schwer betroffenen Patientinnen oder Patienten sollte auf weitere Kommunikationsmittel, wie beispielswiese die Schriftsprache zurückgegriffen werden (vgl. Schubert 2007, S. 27).

Neben der Anamnese von wichtigen Patientendaten ist es ebenfalls erforderlich die Beeinträchtigungen der Funktionskreise Atmung, Phonation/ Prosodie und Artikulation zu erkennen und eine differenzierte Abgrenzung zu anderen neurologischen Beeinträchtigungen herzustellen (Sprechapraxie und Phonetische Paraphasie) (vgl. ebd., S. 28).

 

Beschreibung der Verfahren

Zur Untersuchung der drei Funktionskreise gibt es im deutschsprachigen Raum eine Reihe von standardisierten und informellen Testverfahren (vgl. Schubert 2007, S. 31). Es sollen beispielhaft drei bekannte Untersuchungsverfahren vorgestellt werden.

Standardisierte Diagnostikverfahren sind zum einen das „Frenchay Dysarthrie Assessment - 2“ (FDA-2) (2012) und zum anderen das „Münchner Verständlichkeitsprofil“ (MVP) von Ziegler et al. (1992). Als informelles Untersuchungsverfahren steht die „Untersuchung Neurologisch bedingter Sprech- und Stimmstörungen“ (UNS) von Breitbach-Snowdon aus dem Jahre 2003 zur Verfügung (vgl.ebd.). „Daneben existieren zahlreiche klinikinterne nicht standardisierte Screeningverfahren, die eine grobe und qualitative Einschätzung der Fähigkeiten des Patienten ermöglichen“ (Johannsen 2010, S. 9). Die klinische Diagnostik von Sprechstörungen sollte schnell und einfach durchführbar sein, in der Auswertung zur Bestimmung des konkreten Syndroms führen und Hinweise für die anschließende Therapie geben. Darüber hinaus sollten Veränderungen, die sich durch die Therapie ergeben, erfassbar sein (vgl. Schubert 2007, S. 39).

Frenchay Dysarthrie Untersuchung

Das „Frenchay Dysarthrie Assessment - 2“ (FDA-2) wurde 2008 von Pamela M. Enderby und Rebecca Palmer in der englischen Version veröffentlicht. Das Testverfahren wurde von Karen Grosstück, Heike D. Grün und Regina Oehlrich 2012 ins Deutsche übersetzt und überarbeitet.

Das Verfahren kann bei Patientinnen oder Patienten zwischen 15-97 Jahren eingesetzt werden und die Bearbeitungszeit beträgt i.d.R. 30 Minuten (vgl. Grosstück et al 2012, S. 16 & 19). Es verfolgt das Ziel die Veränderungen der Leistungen in den drei Funktionskreisen zu messen und die Symptome der Dysarthrie übersichtlich darzustellen (vgl. ebd., S. 16 f.). Das Testverfahren setzt sich aus 26 Untertests zusammen, die sich wiederum in sieben Beobachtungsbereiche aufteilen lassen: Reflexe, Respiration/ Atmung, Lippen, Gaumensegel, Stimme, Zunge und Verständlichkeit (vgl. ebd., S. 15). Zu jedem Untertest gibt es einen Protokollbogen mit anschließender Auswertung. Zusätzlich werden weitere beeinflussende Faktoren, wie beispielsweise das Seh- oder Hörvermögen erfasst (vgl. ebd., S. 16). Die Dysarthrien lassen sich mithilfe der „Frenchay-Dysarthrie-Untersuchung“ in verschiedene Syndrome unterteilen: spastische, gemischte, extrapyramidale, zerebelläre und schlaffe Dysarthrien (vgl. ebd., S. 45 & 58).

Darüber hinaus können folgende Ursachen von Dysarthrien differenziert werden: Läsionen der oberen Motoneuronen, Gemischte Läsionen oberer und unterer Motoneuronen und extrapyramidale Läsionen, sowie Läsionen des Kleinhirns und der unteren Motoneuronen (vgl. ebd., S. 45 & 57). „Bei der Frenchay-Dysarthrie Untersuchung handelt es sich jedoch um das einzige Verfahren, das explizit als Beispiel einer standardisierten Dysarthrie-Diagnostik in den aktuellen Heilmittelrichtlinien genannt wird“ (Schubert 2007, S. 34).

Münchner Verständlichkeitsprofil (MVP)

Beim „Münchner Verständlichkeitsprofil“ handelt es sich um ein PC-gesteuertes Diagnostikverfahren (vgl. Ziegler et al. 1992, S. 605). Zur Untersuchung der Verständlichkeit folgt das MVP dem Prinzip der Wortidentifikation. Zu diesem Zweck müssen Wörter, die eine Patientin oder ein Patient spricht unter Auswahl von Antwortmöglichkeiten nach einem Multiple-Choice-Format identifiziert werden.

Der Anteil der als korrekt identifizierten Wörter stellt dabei ein Maß für die Verständlichkeit der jeweiligen Patientin oder des jeweiligen Patienten dar. Es ist ein hohes Maß an Ähnlichkeit von Zielwörtern und Antwortalternativen gegeben, was die Identifikationsaufgabe für den Hörer erschwert und daher zu einer hohen Sensitivität des Verfahrens beiträgt. Die Zielwörter werden aufgrund ihrer artikulatorischen Ähnlichkeit zu Aufgabengruppen (Vokale, Konsonanten: Einzelkonsonanten, Konsonantenverbindungen, Labiale, Apikale, Dorsale, Plosive, Frikative, Nasale) zusammengefasst. Eine Unterscheidung erfolgt nach dem artikulatorischen Organ, dem Grad und der Art der artikulatorischen Engebildung, sowie der räumlich-zeitlichen Komplexität der artikulatorischen Bewegung. Aus der Zusammenfassung der Antworten ergibt sich ein Verständlichkeitsprofil, das Auskunft über die Art der Störung und weitere Aspekte für die zukünftige Therapie geben kann (vgl. a.a.O., S. 603). Um die Sensitivität des Verfahrens zu erhöhen, wurden die Zielwörter in sogenannte Trägersätze eingefügt, die keine Auskunft über die Bedeutung des Wortes geben. Um Lerneffekte bei dem Testverfahren zu vermeiden wurden verschiedene Randomisierungseffekte in die Durchführung eingebettet (vgl. a.a.O., S. 604). Für die Testung der Verständlichkeit wurde eine Wortliste mit 60 Wörtern entwickelt, die weiterhin 12 randomisierte Füllwörter enthält. Es existieren mehr als 2500 Test-/ Alternativwörter und mehr als 2000 Trägersätze, sodass wechselnde Testkonstruktionen möglich sind (vgl. a.a.O., S. 605).

„Mit dem Münchner Verständlichkeitsprofil kann eine ausführliche Beurteilung artikulatorischer Leistungen vorgenommen werden, die das Verständlichkeitsprofil eines Patienten bestimmen“ (Schubert 2007, S. 36). Die Erhebung der Funktionen von Atmung, Phonation/ Prosodie sowie paralinguistische Merkmale, die die Verständlichkeit einer Patientin oder eines Patienten zusätzlich beeinflussen, werden mit diesem Testverfahren nicht erhoben (vgl. ebd.).

Untersuchung Neurologisch bedingter Sprech- und Stimmstörungen (UNS)

Das Diagnostikinstrument „Untersuchung Neurologisch bedingter Sprech- und Stimmstörungen“ wurde von Helga Breitenbach-Snowdon entwickelt und ist in der 3. vollständig überarbeiteten Auflage 2003 erschienen (vgl. Breitenbach-Snowdon 2003, S. 5). Mithilfe des Verfahrens werden alle drei Funktionskreise überprüft.

Der Untersuchungsbogen untergliedert sich in sieben Untersuchungsteile: Spontansprache, Artikulation, Diadochokinese, Prosodie, Atmung, Artikulatorische Muskulatur und Mundinnenraum und Phonation (vgl. ebd., S. 7 ff.). Der Bereich der „Spontansprache“ orientiert sich dabei an der Spontansprachuntersuchung des AAT. Es werden in diesem Untersuchungsteil sowohl die Sprachproduktion, als auch das Kommunikationsverhalten, sowie die Verständlichkeit und Prosodie bewertet (ebd., S. 10-13). Die Untersuchungsbereiche „Artikulation“ und „Diadochokinese“ werden über Nachsprechaufgaben auf Silben-, Wort- und Satzebene, sowie Leseaufgaben überprüft (vgl. ebd., S. 13 ff.). Im Bereich der „Atmung“ werden neben deskriptiven Informationen auch die Vitalkapazität, sowie der subglottische Druck überprüft (vgl. ebd., S. 17 f.). Im Untersuchungsteil zur Phonation werden neben der Stimmqualität auch die Stimmstabilität, die Veränderungen der Sprechstimme, die Stimmeinsätze, die Stimmleistung und die Nasalität der Patientin oder des Patienten beurteilt (vgl. ebd., S. 22-25).

Das Testverfahren ist nicht standardisiert, bietet dem Untersucher jedoch die Möglichkeit eine umfassende Symptombeschreibung der dysarthrischen Störung vorzunehmen. Die Durchführung der „UNS“ kann bis zu 1,5 Stunden in Anspruch nehmen und wird daher im Klinikalltag nur selten eingesetzt (vgl. Schubert 2007, S. 37).


Apparative Diagnostiken

Neben den standardisierten und informellen Untersuchungsverfahren stehen zur Dysarthriediagnostik noch eine Reihe apparativer Verfahren zur Verfügung (vgl. Schubert 2007, S. 42). Diese Verfahren können als Ergänzung zur auditiven Analyse gesehen werden, indem sie die drei Funktionsbereiche untersuchen und außerdem als Kontrollinstrumente zur objektiven Bestimmung von funktionellen Veränderungen eingesetzt werden können. Viele der im Folgenden beschriebenen Untersuchungsmethoden sind mit hohem personellem und materiellem Aufwand verbunden und werden aus diesem Grund vorwiegend zu Forschungszwecken eingesetzt (vgl. a.a.O., S. 42 & 45).

„Bei allen Dysarthrie-Formen findet man Störungen im Bereich der Atmung“ (Ziegler & Vogel 2002, S. 33). Mithilfe eines Spirometers (abhängig von der Mitarbeit der Patientin oder des Patienten) oder eines Body-Plethysmographen (unabhängig von der Mitarbeit der Patientin oder des Patienten) lässt sich die Vitalkapazität mithilfe einer Lungenfunktionsprüfung ermitteln (vgl. Schubert 2007, S. 42 f.). Die Atemfrequenz kann mittels eines Pneumographen untersucht werden, indem ein mit Luft gefüllter Schlauch die Umfangsänderung des Brustkorbs misst und anschließend in elektrische Signale umwandelt. Um den subglottischen Anblasedruck zu überprüfen soll die Patientin oder der Patient, mit einem bis auf den Grund des Glases eingetauchten Strohhalm, Blasen aufsteigen lassen. Wenn ihm dies gelingt, so ist der subglottische Druck ausreichend für die Phonation (vgl. ebd.).
Neben Störungen der Atmung lassen sich bei allen Dysarthrie-Syndromen auch häufig Abweichungen in verschiedenen Parametern der Phonation diagnostizieren. Durch eine Lupenlaryngoskopie lassen sich das Schwingungsverhalten der Stimmlippen, sowie der Glottisschluss der Patientin oder des Patienten beurteilen. Bei einer eingeschränkten Kooperationsmöglichkeit der Patientin oder des Patienten oder einer bestehenden Schluckstörung ist die Durchführung einer flexiblen Nasenendoskopie empfehlenswert. Hierdurch lassen sich allerdings die Beschreibung der anatomischen Verhältnisse, sowie das Schwingungsverhalten der Stimmlippen nur sehr ungenau ermitteln (vgl. Schubert 2007, S. 43 f.).

Die Artikulation der Patientin oder des Patienten kann unter anderem mit dem „Münchener Verständlichkeitsprofil (MVP)“ untersucht werden. Mithilfe einer Schallspektographie kann ein Spektogramm erstellt werden, sodass über den Computer der zeitliche Ablauf, die Frequenz und die Intensität des Schalls analysiert werden können (vgl. ebd., S. 44 f.). „Um genaue Informationen hinsichtlich der Position und Abfolge der Berührungsstellen von Zunge und Gaumen zu erhalten, wird die Elektropalatographie durchgeführt“ (Schubert 2007, S. 45).

 

Literatur

Breitenbach-Snowdon, H. (2003). Untersuchung Neurologisch bedingter Sprech- und Stimmstörungen (3. Aufl.). Köln: Prolog.

Enderby, P. (Autor), Palmer, R. (Autor), Grosstück, K. (Bearbeitung), Grün, H.D. (Bearbeitung) & Oehlrich, R. (Bearbeitung) (2012). FDA-2: Frenchay Dysarthrie Assessment - 2. Idstein: Schulz-Kirchner.

Gesellschaft für Aphasieforschung und -behandlung (GAB) und Deutsche Gesellschaft für Neurotraumatologie und Klinische Neuropsychologie (DGNKN) (2000). Qualitätskriterien und Standards für die Therapie von Patientinnen oder Patientenmit erworbenen neurogenen Störungen der Sprache (Aphasie) und des Sprechens (Dysarthrie).

Johannsen, K. (2010). Entwicklung, Implementierung und Evaluation eines Instrumentes für die akustische Dysarthriediagnostik. (Nicht veröffentlichte Dissertation). Universität Bielefeld, Deutschland.

Michaelis, R. & Edebol-Tysk, K. (1987). Zerebralparesen. Pädoat-Prax, 36, 199-205

Schubert, A. (2007). Dysarthrie. Diagnostik - Therapie - Beratung. Idstein: Schulz-Kirchner.

Storch, G. (2002). Phonetik des Deutschen. Stockach: Günther Storch Verlag.

Ziegler, W., Hartmann, E. & Wiesner, I. (1992). Dysarthriediagnostik mit dem „Münchener     Verständlichkeits-Profil“ (MVP). Konstruktion des Verfahrens und Anwendung. Der Nervenarzt, 63, 602-608.


Weblinks

www.testzentrale.de