9. Spezifische Maßnahmen bei Mutismus und Redeflussstörungen

Mutismus

 

Schüler:innen mit mutistischen Auffälligkeiten können sprechen und kommunizieren. Sie tun es jedoch aufgrund einer starken Angst nicht (Hartmann & Lange, 2024). Mutismus ist eine spezifische Form der Angststörung (ICD11-6B06) und zählt zu den internalisierenden Störungen. Es sind 0,5 -2% der Schüler:innen betroffen.

Maßnahmen im Unterricht

Lehrkraft:

  • das „Nicht-Sprechen“ akzeptieren, nicht persönlich nehmen oder als Provokation oder Widerstand bewerten
  • empathisches Einfühlen
  • humorvolles Verhalten, um Angst zu reduzieren
  • Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung
  • nicht zum Sprechen auffordern oder drängeln
  • nicht in den Mittelpunkt stellen
  • bei Gruppenspielen und Gruppenarbeiten nicht ausschließen
  • positive Rückmeldungen geben, ermuntern, anerkennen, loben
  • Nachteilsausgleich gewähren
  • Kontakt zur Therapeut:in aufnehmen (Schweigepflichtsentbindung)

 

Kommunikationsmöglichkeiten:

  • Welche Kommunikationsmöglichkeiten werden zurzeit genutzt? (z. B. Kopf schütteln oder nicken, Zahlen mit den Fingern zeigen, diese notieren und im Klassenbuch hinterlegen)
  • auf Dinge/Menschen zeigen lassen
  • Zeichensprache erlauben und einsetzen
  • Antworten aufschreiben lassen
  • selbst hergestellte „Meldehand“ einsetzen
  • „ich verstehe – ich verstehe nicht Kreis“ (grün – rot) benutzen
  • alternative Kommunikationsmöglichkeiten zulassen z. B. Video, Audioaufnahme mit dem Handy auf dem Flur, Antworten schriftlich notieren, Zeichensprache nutzen, eine Mitschüler:in sprechen lassen, Flüstersprache nutzen
  • Zahlen mit den Fingern zeigen lassen
  • drei Antwortmöglichkeiten vorgeben und die Antwort mit den Fingern 1,2, oder 3 zeigen lassen
  • geschlossene Fragen
  • ja/nein-Antworten mit Karten oder Kopf schütteln und nicken
  • Alternativfragen stellen („Plus oder minus?“)

 

Organisatorisch:

  • gewünschten Sitzplatz erlauben
  • in gemeinsame Handlungen einbeziehen, Förderung der emotionalen und sozialen Kompetenzen (z. B. Partner- und Gruppenarbeiten)
  • Eigenhandlungen ausführen lassen
  • bei Prüfungen eine Lehrkraft des Vertrauens ohne Prüfungsrelevanz einbeziehen

 

Redeflussstörung - Stottern

Stottern ist eine Redeflussstörung, bei der der flüssige Sprechablauf sowie der zeitliche Ablauf des Sprechens beeinträchtigt ist. Auftreten können Unflüssigkeiten in Form von Laut-, Silben- oder Wortwiederholungen (z. B. „ich - ich – ich weiß“; „Ich ho –ho-ho-hole das Brot.”), Vokaldehnungen, die mehr als eine Sekunde andauern (z. B. „Ich kaaaaaaaann das.”; „Aaaaaaaaaaapfel“) sowie Pausen zwischen Wörtern oder Satzteilen, die zur inhaltlichen Planung benötigt werden (z.B. „Wo ist ___________ kannst du mir das holen?”) oder Blockierungen mit sichtbarer Anstrengung z. B. durch Verspannungen im Mund- und Gesichtsbereich.

Begleitsymptome können sein, dass Wörter vermieden werden (z. B. „Ich möchte zzzzwwww – drei Brötchen.“ sowie Verspannungen von Lippen, im Gesicht und am Hals sowie Mitbewegungen des Körpers. (Braun & Kohler, 2025). Das Sprechen ist häufig verbunden mit Ängsten vor den Sprechunflüssigkeiten und teilweise mit dem Vermeiden von Sprechsituationen (Hansen & Iven, 2020).

 

Maßnahmen im Unterricht

Die unten genannten Maßnahmen sollten mit der Schüler:in gemeinsam erarbeitet bzw. besprochen werden.

Lehrkraft:

  • das Stottern akzeptieren und Verständnis zeigen
  • ausreichend Zeit zum Sprechen geben und Interesse am Gesagten zeigen
  • aussprechen lassen (Satz nicht für Schüler:in beenden)
  • Lehrperson als Vorbild für die Klasse mit bewusstem Setzen von Sprechpausen
  • Einzelgespräch führen (das Stottern offen thematisieren, nach persönlichen Hilfen fragen)
  • evtl. Unterrichtsstunde zum Stottern durchführen und die Mitschüler:innen somit über das Stottern aufklären (evtl. in Zusammenarbeit mit der Sprachtherapeut:in)

 

Gestaltung der Kommunikationssituation:

  • Blickkontakt auch während einer Sprechblockade halten
  • nur aufrufen, wenn sich der/die Schüler:in meldet (nicht alphabetisch oder der Reihe nach aufrufen)
  • meldet sich der/die Schüler:in, sofort drannehmen, nicht warten lassen, da dieses Sprechdruck aufbauen und somit das Stottern verstärken kann
  • bei Gesprächskreisen, Schüler:in als erstes sprechen lassen
  • freiwillige mündliche Beiträge nicht unterdrücken

            

Organisatorisch:

  • Nachteilsausgleich gewähren bzw. rechtliche Möglichkeiten prüfen
  • evtl. mündliche Mitarbeit durch andere Leistung (z. B. schriftliche Arbeit) ersetzen
  • nur Vorlesen lassen, wenn Schüler:in sich meldet
  • Gruppenarbeit fördern und damit geschützten Rahmen bieten
  • Referate vor einer kleinen Gruppe halten lassen

 

Redeflussstörung – Poltern

Poltern ist eine überhastete Sprechweise. Diese ist gekennzeichnet durch:

  • einen schnellen und regelmäßigen Sprechfluss
  • eine unklare bis schwer verständliche Artikulation
  • Schwierigkeiten in der Pausengestaltung sowie
  • Schwierigkeiten in der Sprechplanung (Cook, 2024)

 

Maßnahmen im Unterricht

  • Handzeichen zur Erinnerung an langsames Sprechen vereinbaren
  • Erinnerungssatz oder Bild (z. B. Schnecke) für eine langsame Sprechweise auf den Tisch kleben
  • Lehrkraft fasst Gesagtes der Schüler:in kurz zusammen und fragt, ob es so richtig verstanden wurde
  • Inhalte in Kleingruppenarbeiten erst schriftlich sammeln und dann trägt Mitschüler:in diese vor
  • Sprechpausen in Texten markieren
  • Satzbausteine vorgeben z. B. „Ich bin dafür …, weil …“
  • Gliederung für Aufsätze und Nacherzählungen geben (Cook, 2024)

Weiterführende Literatur/Links